Geschrieben: 25. August, 2016 in Gesundheit | Mutter & Kind
 
 

Verletzungen des Beckenbodens während der Entbindung


Es ist ein alltägliches Problem im Kreißsaal, das man häufig aber erst wahrnimmt, wenn man schließlich selbst betroffen ist: Verletzungen des Beckenbodens, die während der Entbindung auftreten. Bei natürlichen Entbindungen erleiden einer Übersichtsarbeit zufolge ganze 85 % der Frauen solche Verletzungen. Manche Verletzungen heilen wieder ab, ohne dass sie aufwendig behandelt werden müssen. Andere leider nicht.

Eine Geburt kann eine Verletzung des Beckenbodens anrichten, Fotoquelle: 123RF

Eine Geburt ist eine enorme Belastung für den Körper und für die Psyche. Ganz unmittelbar jedoch vornehmlich für den Beckenboden der werdenden Mutter. In der Folge der zusätzlichen Gewebstraumata, die bei der Geburt verursacht werden, können sich Organe des Genitalbereichs verschieben und/oder eine Harn- oder Fäkalinkontinenz auftreten. Doch obwohl diese Probleme so häufig auftreten, ist eine umfassende Beratung zu den Risiken einer natürlichen Geburt weniger gründlich als es eigentlich wünschenswert wäre. So sieht das zumindest Heiko Franz, Chefarzt einer der deutschlandweit größten Frauenkliniken in Braunschweig, der in Vorträgen schon wiederholt darauf aufmerksam gemacht hat, dass eine natürliche Geburt eine extreme und keinesfalls zu unterschätzende Belastung für den Beckenboden der werdenden Mutter ist.

Inkontinenz sehr häufig – aber schwer zu erkennen

Die Behandlung möglicher Folgebeschwerden kann viel Zeit in Anspruch nehmen. Gerade Inkontinenz ist manchen Frauen so peinlich, dass sie sich scheuen, den Arzt aufzusuchen. Die Folge ist ein sich immer weiter verstärkender Leidensdruck. Außerdem ist gerade eine Fäkalinkontinenz nur schwierig behandelbar. „Denn gerade dann, wenn zum Beispiel die Schließmuskelfunktion des Darms verlorengegangen ist, gibt es wenig, was man später noch tun kann“, erläutert Dr. Franz. Bei circa 1,5 bis 9 % aller natürlichen Geburten kommt es zu einer Verletzung des analen Schließmuskels. Die Diskrepanz in den Zahlen ergibt sich auch aus der Schwierigkeit, etwaige Verletzungen schnell und richtig zu erkennen. Einer britischen Fachzeitschrift zufolge erkennen zwar 99 % der Spezialisten solche Verletzungen, aber nur 73 % der Assistenzärzte und gerade einmal 13 % der Hebammen.

Bedeutung von Verletzungen für Folgeschwangerschaften

Besonders Verletzungen des Schließmuskels treten sogar noch häufiger auf, als man gemeinhin annimmt. Das hat die Untersuchung mit Ultraschallsonden ergeben, die Gebärenden in den Darm eingeführt wurden. Selbst wenn die Geburt scheinbar völlig problemlos verlief, kommt es demzufolge bei rund 35 % der Frauen zu Sphinkterdefekten, also Verletzungen des Schließmuskels. Besondere Bedeutung haben solche ‚unbemerkten‘ Verletzungen für alle nachfolgenden Schwangerschaften. „Dann sollte eine natürliche Entbindung möglichst vermieden werden“, rät auch Dr. Franz. Denn ein beschädigter Schließmuskel kann durch neue Belastungen umso einfacher in weitere Mitleidenschaft gezogen werden.

Individuelles Risiko für Komplikationen nur schwer einschätzbar

Eine Lösung für das Problem unerkannter Komplikationen wären mehr bildgebende Verfahren während der Entbindung. Werden Bindegewebe, Muskeln und Knochen deutlich wiedergegeben, lassen sich Verletzungen in Normalfall sofort entdecken. „So manche Frau kommt zu mir in die Sprechstunde, weil es keine Erklärung für ihre Schmerzen gibt. Aber in der hochauflösenden Magnetresonanztomografie sehe ich dann, dass das Bindegewebe oder die Muskulatur einen typischen Geburtsschaden erlitten hat“, erläutert Cornelia Betschart, Oberärztin an der Frauenklinik im Universitätsspital in Zürich. Auch Dr. Betschart fordert mehr Bilddiagnostik im Kreißsaal. Ein anderes Problem ist die mangelnde Genauigkeit bei der Vorhersage des individuellen Risikos für Komplikationen. „Wir haben erst wenige Kriterien, wonach wir das individuelle Risiko der einzelnen Schwangeren exakter bestimmen könnten“, räumt Dr. Franz ein. Mögliche Anhaltspunkte seien zum Beispiel das Gewicht des Babys, eine besonders langwierige Geburt, Veranlagung, aber auch Alter, Größe und Gewicht der Mutter. Trotzdem darf man sagen, dass die Einschätzung des individuellen Risikos für Beckenbodenverletzungen bei werdenden Müttern noch in den Kinderschuhen steckt.