Geschrieben: 29. September, 2014 in Aktuelles
 
 

Nur hierzulande zu teuer? Arzneimittelpreise in Deutschland und Europa


Seit 30 Jahren erscheint die Bilanz der Gesundheitsökonomen (der Arzneimittelverordnungsreport, kurz AVR) um den Pharmakologen Ulrich Schwabe – und jedes Jahr sorgt sie aufs Neue für heftige Diskussionen. Das wird im zum diesjährigen Jubiläum sicherlich nicht anders sein, denn wieder (einmal) kritisieren die Autoren des Reports die anhaltend überteuerten Arzneimittelpreise in Deutschland und verweisen auf immense Einsparmöglichkeiten.

Arzneimittelpreise in Deutschland zu teuer, Fotoquelle: 123RF

Kurz zur Erklärung der Datenbasis des AVR: sämtliche Medikamente, die Krankenversicherte in Deutschland von ihrem Arzt verschrieben bekamen. 2013 waren es laut dem Report 819 Millionen Rezepte, die durch 202.965 Vertragsärzte ausgestellt wurden. Insgesamt kosteten die Arzneimittel die Kassen 32,1 Milliarden Euro. Analysiert wurde dieser riesige Datensatz durch das Wissenschaftliche Institut der AOK, kurz Wido.

In diesem Jahr liegt der Fokus der AVR-Autoren auf den Einsparmöglichkeiten im deutschen Pharmamarkt. Dieser sei trotz verschiedener Gesetzesinitiativen nicht kleiner geworden. Besonders bei jenen Medikamenten, die noch unter Patentschutz stehen (Originalpräparate), sind laut Schwabe deutliche Verbesserungen möglich. Auch durch Scheininnovationen (Analogpräparate) entstünden enorme Kosten. Darunter fallen jene Medikamente, die zwar eine veränderte Molekülstruktur aufweisen, für Patienten aber keinen oder nur einen marginalen therapeutischen Fortschritt bringen. Laut den AVR-Autoren sind die hohen Ausgaben aber unnötig, stattdessen könnten Generika, also günstige Kopien der Originalpräparate, verordnet werden.

Schwabes Kritik: Patentgeschützte Arzneimittel seien in Deutschland viel teurer als in anderen Ländern. Die Argumente der Pharmaindustrie: Man könne die Preise in Europa nicht so einfach vergleichen, weil Packungsgröße, Mehrwertsteuer, Zwangsrabatte und Apothekergebühren in jedem Gesundheitssystem unterschiedlich seien. Die Undurchsichtigkeit der Medikamentenpreise sei deshalb leider unvermeidlich. Doch Schwabe ist überzeugt, dass man die Unterschiede dennoch berechnen kann.

Am Beispiel Schweden hatte sich schon 2010 ein Einsparpotenzial für Deutschland von 4,5 Milliarden Euro gezeigt. Auch in den darauffolgenden Jahren ergaben Preisvergleiche mit anderen Ländern ebenfalls hohes Sparpotenzial: Im Vergleich mit Großbritannien etwa waren es 4,1 Milliarden Euro (AVR 2011), im Vergleich mit den Niederlanden 1,6 Milliarden Euro (AVR 2012). Im vergangenen Jahr schauten die Pharmaökonomen nach Frankreich, auch hier wurde ermittelt, dass die Deutschen 1,2 Milliarden Euro weniger für Arzneimittel ausgeben könnten.

“Die Preise patentgeschützter Arzneimittel in Deutschland sind im internationalen Vergleich überhöht,”

steht für Schwabe fest.

Auch die Mehrwertsteuer wirkt sich aus: Während hierzulande 19 Prozent fällig sind, verlangt Frankreich etwa bei Medikamenten nur 2,1 Prozent. Doch selbst unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Steuersätze waren Medikamente in Deutschland laut dem AVR im Vergleich neun Prozent teurer als im Nachbarland.

Aber es gibt auch positives vom AVR zu berichten: etwa bei den 25 umsatzstärksten Arzneimitteln, die im Zuge des Arzneimittelgesetzes Amnog bewertet wurden. Dieses 2010 von der Regierung beschlossene Gesetz, nach dem Pharmahersteller die Preise für neue Medikamente nach dem Grad ihres Nutzens mit den Kassen verhandeln müssen, hätte immerhin dafür gesorgt, dass die ausgehandelten Erstattungspreise durchschnittlich um 23 Prozent gesenkt wurden.

Mit der Preissenkung durch das Amnog sind Preise für neue Arzneimittel nicht mehr höher als in anderen Ländern. Wie der aktuelle Preisvergleich mit Frankreich belege, seien die Preise für Neumedikamente sogar 4,6 Prozent niedriger.

Die Einsparungen durch Erstattungsbeträge haben 2013 allerdings nur 150 Millionen Euro ergeben, für dieses Jahr werden 298 Millionen Euro erwartet. Laut Schwabe ist dies aber meilenweit entfernt davon, was das Amnog eigentlich jedes Jahr einsparen sollte: zwei Milliarden Euro.

Diese politische Vorgabe sei verfehlt worden, weil die vorgesehene Bewertung des Bestandsmarktes, also der älteren, etablierten Medikamente, nur schleppend startete und im April dieses Jahres sogar wieder ganz abgeschafft wurde, kritisiert Schwabe. Obendrein habe die große Koalition den erhöhten Herstellerabschlag von 16 Prozent für patentgeschützte Arzneimittel nicht fortgeführt. Dadurch komme auf die gesetzliche Krankenversicherung ein neuerlicher Kostenschub von etwa einer Milliarde Euro zu.