Pharmakonzerne tricksen bei jedem zehnten neuen Medikament
Irrtümlicherweise vermuten viele, dass ein Medikament, das neu auf dem Markt ist, besser als bereits erhältliche, vergleichbare Präparate ist. Die Pharmafirmen müssen zwar nachweisen, dass die Arznei wirksam und ungefährlich ist. Doch ob Betroffene durch das Medikament besser therapiert werden als durch ältere Präparate, wird bei diesen Zulassungstests ausgeklammert. Auch bei der Festlegung des Preises können die Unternehmen tricksen.
Pharmakonzerne tricksen bei der Anmeldung von neuen Medikamenten, Fotoquelle: 123RF
Ein 2011 eingeführtes Gesetz namens Amnog soll eigentlich unterbinden, dass Unternehmen für neue Arzneien ohne Zusatznutzen hohe Preise ansetzen. Unternehmen sind demnach in der Pflicht, nach der Zulassung eines Präparats Daten von Studien an den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) weiterzuleiten. Dieser stellt im Anschluss fest, ob der Nutzen der neuen Arzneien den der „zweckmäßigen Vergleichstherapie“ übertrifft. Nur in diesem Fall darf die Pharmafirma mit den Krankenkassen um einen höheren Preis verhandeln.
23 Millionen Euro für Arzneien ohne nachgewiesenen Zusatznutzen
Der Kontrollmechanismus weist aber leider eine fatale Lücke auf: Geht der Pharmakonzern davon aus, dass das neue Präparat schlechter eingstuft wird als seine Vorgänger, so kann er einen Trick anwenden. Er reicht keinen Dossier ein, was lediglich dazu führt, dass dem Präparat kein Zusatznutzen anerkannt wird. Der Preis wird dann entsprechend der bestehenden Medikamente festgelegt. Da es erlaubt ist, dass die Unternehmen bei einem unvollständigen Dossier nachkorrigieren, „ist ein unvollständiges Dossier ebenso wie der Verzicht auf die Einreichung eines Dossiers in der überwiegenden Zahl der Fälle als beabsichtigt einzustufen“, erklärt der Vorsitzende des G-BA, Josef Hecken, in einem Brief an die Linksfraktion des Bundestags (Quelle: spiegel.de).
Einer Stellungnahme der Regierung kann man entnehmen, dass die Anzahl der Fälle, in denen Hersteller kein Dossier abgeliefert hätten, gering sei. Die Zahlen des G-BA verdeutlichen jedoch, dass bei mehr als jedem zehnten Präparat auf dieser Weise verfahren wurde. So kam es, dass die gesetzlichen Krankenversicherungen seit 2011 ungefähr 23 Millionen Euro für Arzneien bezahlt haben, deren Zusatznutzen nicht belegt wurde. Dass solche Situationen möglich sind, bewertet die Bundesregierung als nicht kritisch.
Was für den Patienten von Bedeutung ist
Bei vielen Studien von Arzneien misst und vergleicht man sogenannte Surrogatparameter, zum Beispiel ob ein spezieller Blutwert sinkt oder steigt. Wichtiger für den Patient ist aber: Wird die Qualität Gesundheitszustands erhöht? Kann das Präparat die Lebensqualität verbessern? Steigert es die Lebenserwartung? Sinken die Nebenwirkungen? Die G-BA berücksichtigt bei der Einschätzung eines möglichen Zusatznutzens hauptsächlich Faktoren solcher Art. Die Sprecherin für Arzneimittelpolitik und Patientenrechte der Linksfraktion Kathrin Vogler sieht in der gegenwärtigen Situation akuten Handlungsbedarf: „Wir erwarten von der Bundesregierung, dass sie diese offensichtliche Gesetzeslücke schließt, bevor der erste Skandal wegen eines neuen Mittels dritter Wahl zum Preis der ersten Wahl da ist.“