Unsere Gene: Geprägt von traumatischen Erlebnissen
Auch wenn sie ursprünglich nicht genetisch sind, werden Depression und Trauma häufig an die nächsten Generationen weitergegeben. Doch wie erfolgt diese Übertragung? Wie Wissenschaftler kürzlich herausgefunden haben, können Erlebnisse unsere Gene verändern und somit auch prägen.
DNA-Doppelhelix, Fotoquelle: 123RF
Schon lange streiten Forscher über die Frage, ob die Persönlichkeit, der Charakter oder die Neigung zur Krankheit eines Menschen durch angeborene oder durch erworbene Eigenschaften bedingt werden. In der Fachwelt spricht man von der so genannten Nature-or-Nurture-Debatte. Von dieser hat sich die Wissenschaft weitgehend verabschiedet und stellt fest, dass beide Faktoren von Wichtigkeit sind. Forscher fanden heraus, dass Erfahrungen so tief gespeichert werden können, dass sie sich dauerhaft im Erbgut festsetzen. Man spricht von Epigenetik, wenn erworbene Eigenschaften der Eltern bei den Kindern zu angeborenen Eigenschaften werden. Neurobiologen der ETH Zürich haben nun den molekularen Mechanismus, der dies ermöglicht, entschlüsselt.
Negative Erlebnisse führen zu Prägungen im Körper
Extremer Stress, feindliche Lebensumstände und Traumatisierungen: All diese Erlebnisse beeinträchtigen die Regulation in der Zelle, wie die Wissenschaftler nun herausfanden. Sogenannte kurze RNA-Moleküle gelten als die bedeutsamsten Substanzen für die Umsetzung der genetischen Information. Ein Überschuss dieser Moleküle bringt folglich nicht nur das zelluläre Gleichgewicht durcheinander, sondern führt auch zu Umwandlungen der Nervenfunktion und anderen Beeinträchtigungen. Schlechte Erfahrungen hinterlassen Spuren im Gehirn, in den Organen und in den Keimzellen. Über jene Keimzellen werden diese schlechten Eindrücke dann weitervererbt.
In der Tierwelt entdeckten Forscher beispielhafte Belege dafür, wie Lebensumstände das Erbgut prägen können. Glattechsen, die häufig den Geruch von Schlangen wahrgenommen haben, bekommen beispielsweise größeren und stärkeren Nachwuchs, der dann seltener Schlangen zum Opfer fällt. Andere wurden klein und mit niedrigem Gewicht geboren, entpuppten sich aber als zäh. Später bekamen sie häufiger Diabetes und Infarkt, weil sie die genetische Eigenart in sich trugen, aus wenig Essen viele Nährstoffe zu ziehen. Was ihnen in Zeiten des Mangels zugute kam, wurde in Zeiten des Überflusses zu einer Gefährdung.
Sowohl-als-auch-Mentalität empfiehlt sich in der Behandlung
Aus vielen neurobiologischen Befunden geht hervor, dass es molekulare Hintergründe für die Erkrankungen der betroffenen Patienten gibt. Ärzte für Psychosomatik legen Vermutungen für eine, wie sie es bezeichnen, „psychosomatische Genetik“ nahe. Diese Vermutungen sollten jedoch in Bezug auf die Behandlung nicht falsch interpretiert werden: Eine Depression oder ein Trauma sollte nicht nur neurobiologisch und somit pharmakologisch behandelt werden. In solchen Fällen empfiehlt sich immer auch eine psychotherapeutische Behandlung.