Wieso ist man oft so wie seine Eltern?
Vor allem und gerade unter Stress kommen häufig plötzlich die eigene Mutter oder der Vater in einem durch. Komisch ist, dass man auch elterliche Angewohnheiten kopiert, die man früher schon gehasst hat. Wieso ist das so?
Durch Beobachten der Eltern lernen Kinder, Fotoquelle: 123RF
Kinder lernen durch Nachahmen und Beobachten der Eltern. Das ist ein vollkommen normaler Prozess mit dem sich Menschen ein Verhaltensrepertoire aneignen, auf das sie in Stresssituationen automatisch zurückgreifen
Felicitas B. aus Angermünde in der Uckermark hatte ein gutes Verhältnis zu ihren Eltern, solange sie lebten. Ein paar Angewohnheiten haben sie genervt, natürlich, aber das kennt jeder von uns und das ist vollkommen normal. Dass ihre Mutter so abergläubisch war, zum Beispiel. Schuhe auf dem Tisch bringen Unglück, unter Leitern durchgehen auch und so weiter und so fort.
Vollkommener Quatsch, fand Felicitas schon als Kind. Außerdem war, wenn der Mutter ein Malheur im Haushalt passierte, nicht etwa sie selbst schuld, sondern immer derjenige, der gerade zufällig neben ihr stand. Unfair war das und uneinsichtig noch dazu, befand ihre Tochter damals trotzig.
Jedenfalls hat Felicitas, so wie das alle Kinder während des Heranwachsens tun, irgendwann beschlossen, welche Verhaltensweisen ihrer Mutter sie gerne übernehmen will und welche sie lieber nicht hätte. Nur: Das funktioniert leider nicht. „Ich mache den ganzen abergläubischen Quatsch mit“, sagt sie. „Dabei will ich das gar nicht.“
Aber wenn jemand neu gekaufte Schuhe auf den Tisch stellt, wird ihr unwohl, und sie stellt sie runter. Und wenn in der Küche die Milch überkocht, weil sie nicht aufgepasst hat, pflaumt sie ihren Mann Hans-Jürgen an, der wollte aber doch nur helfen: „Musstest du gerade jetzt da stehen?“ Laut ihrer Aussage passiert das schneller, als sie drüber nachdenken könne.
Kinder schauen sich alles bei Vorbildern ab
Erklären lässt sich das mit einer Sonderform des Lernens, die der kanadische Psychologe Albert Bandura im Jahr 1965 entdeckte: das Lernen am Modell. Bei Experimenten mit Kindern fand er heraus, dass diese nicht nur über Konsequenzen ihres eigenen Verhaltens lernen, sondern vor allem durch die Beobachtung und Nachahmung anderer.
Das hat einen entscheidenden Vorteil: So lässt sich ein komplexes neues Verhaltensmuster übernehmen, von dem man bereits gesehen hat, dass es funktioniert. Das spart nicht nur Zeit, sondern auch Nerven. Allerdings müssen ein paar Bedingungen erfüllt sein, damit das Modelllernen bei Kindern klappt.
Der Lernende muss eine gefühlsmäßige Beziehung zum Modell haben, das Modell muss Ansehen oder Macht für das Kind verkörpern und das Modellverhalten muss Erfolg haben. Zeigt das Kind das neu gelernte Verhalten, muss es also dafür belohnt werden oder Erfolg dabei haben, sein Ziel durchzusetzen. In der Regel lernen Kinder daher auf diese Weise von ihren Eltern, manchmal aber auch von Lehrern oder älteren Geschwistern.
Felicitas hat also früh verstanden, dass sie dem Ärger ihrer Mutter entgeht, wenn keine Schuhe auf dem Tisch stehen und dass das unfaire Beschuldigen anderer zumindest ihre Mutter selbst erleichtert hat. Aber warum scheinen diese Verhaltensweisen auch dann noch an einem zu kleben, wenn man sie unbedingt loswerden will?
Deshalb kommen diese „ungeliebten“ Muster vor allem bei stressigen Situationen ans Tageslicht. Erwischt sich Felicitas in Alltagssituationen dabei, wie der Impuls kommt, die Schuhe vom Tisch zu stellen, dann kann sie ihn noch kontrollieren. Kocht aber die Milch über, reagiert Felicitas schnell. Und das heißt: emotional und unreflektiert. Genau dann kommt ihre Mutter im Verhalten zum Vorschein.