Geschrieben: 22. August, 2022 in AIDS | Infektionskrankheiten
 
 

Wie HIV wohlmöglich geheilt werden könnte



In der Vergangenheit gab es immer wieder Fälle von Menschen mit nachweislicher HIV-Infektion, welche nach einer Stammzellenspende HIV-negativ waren. Leider sind diese Erfolge nur Einzelfälle und dennoch wird nur sehr wenig darüber berichtet. Warum ist das so?

Vorabwissen über HIV und AIDS (stark vereinfacht)

HIV steht für die englische Abkürzung „Human Immunodeficiency Virus“. Auf Deutsch wäre „Humanes Immundefizienz-Virus“ die korrekte Übersetzung; „Humanes Immunschwäche-Virus“ ist ebenso korrekt. Der Name verrät schon einiges: Ein Virus, welches gezielt das Immunsystem angreift. Sehr clever, weil genau dieses Immunsystem uns vor Krankheiten schützt. Ist unser Immunsystem geschädigt, so kann das HI-Virus – wie man es richtig schreibt und auch spricht – sich ungehindert im Körper vermehren. Wenn dies passiert, ist AIDS die Folge. AIDS steht für „acquired immune deficiency syndrome“, auf Deutsch „Akquiriertes Immun-Defizienz-Syndrom“, welches sich aber besser mit „erworbenes Immunschwächesyndrom“ übersetzen ließe.

HIV beschreibt lediglich den Krankheitserreger, AIDS bezeichnet die finale Krankheit. Besser gesagt ist AIDS die finale Symptomatik, wenn eine HIV-Infektion nicht behandelt wird und das Virus sich ungehindert im Körper Vermehrt hat.

Symptome und Verlauf bei einer HIV-Infektion

Hat man sich mit dem HI-Virus angesteckt sind nach etwa zwei bis vier Wochen folgende Symptome zu erwarten:

  • Abgeschlagenheit
  • Durchfall
  • Fieber
  • Hautausschlag
  • starker Nachtschweiß
  • Müdigkeit oder Unwohlsein
  • Muskelschmerzen
  • sowie Schwellungen von Mandeln und Lymphknoten.

Diese Symptome verschwinden nach einer bis zwei Wochen wieder. Das tückische dabei ist, dass die meisten fälschlicherweise von einer grippalen Infektion ausgehen und sich nicht weiter damit beschäftigen.

Das HI-Virus hat sich in dieser Phase stark vermehrt und das eigene Immunsystem versucht das Virus zu bekämpfen. Jedoch hält sich das HI-Virus und die eigene Immunabwehr im Gleichgewicht, weswegen es meist über mehrere Jahre zu keinen oder relativ unauffälligen der oben genannten Symptome kommt. In dieser Phase kann HIV unbemerkt Weitergeben werden. Nach einiger Zeit wird das Immunsystem nachlassen und das HI-Virus übernimmt die Oberhand.

Symptome einer fortgeschrittenen HIV-Infektion sind:

  • Langanhaltender Durchfall
  • ungeklärtes Fieber mit über 38,5 °C
  • Nachtschweiß
  • Schwellung der Lymphknoten
  • Gürtelrose
  • Pilzbefall von Mund und Rachen
  • bei Frauen: vaginaler Pilzbefall
  • Schmerzen, Kribbeln und Taubheitsgefühl in Armen und Beinen durch Nervenschädigungen

AIDS bei unbehandelter HIV-Infektion

Sobald das HI-Virus das Immunsystem nahezu vollständig zerstört hat, ist der Körper anfällig für zahlreiche, oft seltene Krankheiten. Bis es so weit ist, können mehrere Jahre vergehen. Die Infektion mit anderen Krankheitserregern ist besonders einfach. Bei AIDS spricht man von ernsthaften und schweren Krankheitsverläufen, die letztendlich zum Tod führen. Das können beispielsweise sein:

  • Entzündungen an Gehirn, Lunge und Netzhaut
  • Pilzbefälle an Speise- und Luftröhre
  • bestimmte Krebsarten
  • zerebrale Toxoplasmose
  • Tuberkulose
  • Infektion mit Zytomegalievirus, Mykobakterien, Herpes-simplex

Selbst wenn man das Stadium AIDS erreicht hat, können mit lebenslanger medikamentöser Therapie die Symptome behandelt und der Patient kann ein normales Leben führen. Die Vermehrung der HI-Viren wird dadurch gehemmt und die Anzahl im Körper auf ein Minimum reduziert. Die Weitergabe ist dann nicht mehr möglich und selbst ein Nachweis der Viren im Körper wird stark erschwert.

Lebenslange Medikamenteneinnahme bei HIV notwendig

Und genau darin liegt das Problem. Derzeit gibt es keine Möglichkeit, dass HI-Virus mit einer zeitlich begrenzten Therapie vollständig und dauerhaft aus dem Körper zu verbannen. Eine Impfung existiert nicht.

Eine lebenslange Medikamenteneinnahme ist notwendig! Die Kosten belaufen sich abhängig von diversen patientenbezogenen Faktoren auf 20.000 € und 30.000 € pro Jahr.

Die Anzahl der HIV-positiven Menschen in Deutschland beträgt 91.400 (Stand 2020). Die Quote liegt damit bei etwa 0,1 % – also jeder 1.000 Mensch.

Somit entstehen jährliche Kosten von knapp 2,3 Milliarden. €.

Blutkrebs (Leukämie)

Blutkrebs ist ein Sammelbegriff für verschiedene bösartige Erkrankungen des Körpers. Dabei ist das blutbildende System gestört. Unser Blut besteht aus drei finalen Blutzelltypen.

1. rote Blutkörperchen (Erythrozyten), die Sauerstoff transportieren
2. weiße Blutkörperchen (Leukozyten), die unser Immunsystem darstellen
3. Blutplättchen (Thrombozyten), die Blutungen stoppen.

Diese drei Blutzelltypen entstehen aus einer Vorstufe, einer sogenannten spezialisierten Stammzelle. Sie wird als Blutstammzelle bezeichnet. Eine Blutstammzelle kann nur zu einer der genannten drei Blutzelltypen heranreifen. Blutstammzellen werden im Knochenmarkt gebildet.

Bei Blutkrebs vermehrt sich eine Blutstammzellen fehlerhaft, unkontrolliert und explosionsartig. Diese gestörte Blutstammzelle kann nicht zu einer finalen Blutzelle heranreifen. Die unkontrollierte Vermehrung verdrängt die drei genannten Blutzelltypen und hemmt deren Funktion. Es kann nicht mehr genug Sauerstoff transportiert werden und Blutungen werden nicht mehr effizient gestoppt. Das schwerwiegendere Problem ist jedoch das defekte, besser gesagt, das nicht mehr vorhandene Immunsystem.

Als Therapie kann eine Stammzellenspende helfen, bei der Knochenmarkt entnommen wird. Wenn ein nahezu identischer genetischer Zwilling gefunden wurde, kann dieser sein Knochenmark an den Erkrankten spenden. Das Knochenmark, bzw. die Stammzellen werden eingebracht, ohne dass es zu heftigen Abstoßungsreaktionen kommt. Das Knochenmark kann wieder richtig arbeiten und Blutstammzellen bilden, woraus sich wiederum die drei besagten Blutzelltypen entwickeln. Das Immunsystem wird erneut aufgebaut und ist wieder funktionsfähig.

Die Wahrscheinlichkeit, bei Geschwistern einen passenden Spender zu finden, liegt bei 25 %. Ansonsten kann durch nationale oder internationale Register ein Fremdspender gefunden werden. Die Wahrscheinlichkeit liegt hier bei etwa 80 %.

Parallelen zwischen HIV/AIDS und Leukämie

Eine HIV-Infektion und Leukämie sind ganz verschiedene Erkrankungen. Jedoch zeichnen sich gewissen Parallelen ab. Beide Erkrankungen beschädigen das eigene Immunsystem massiv. HIV direkt und gezielt, Leukämie hingegen indirekt.

Der Therapieansatz bei Leukämie besteht darin, das Knochenmark eines Spenders beim erkrankten Empfänger zu ersetzen, wodurch sich ein neues Immunsystem aufbaut. Dieses ist dem vorherigem Immunsystem des Erkrankten sehr ähnlich, aber eben nicht absolut identisch.

HI-Viren befallen gezielt das eigene Immunsystem und nutzen es zur Vermehrung. Durch Medikamente lassen sich HI-Viren bis unter die Nachweisgrenze hemmen, aber nicht vollständig beseitigen.

HIV mit einer Stammzellenspende heilen

In wenigen Fällen ist es bereits gelungen mittels einer Stammzellenspende eine HIV-Infektion zu heilen.

Damit das HI-Virus in eine Immunzelle eindringen kann braucht es den CC5-Rezeptor. In der europäischen Bevölkerung haben etwa 2 % die sogenannte Delta-32-Mutation. Durch diese Genmutation besitzt die Immunzelle kein CC5-Rezeptor und ein HI-Virus kann die Zelle zum Zweck der Vermehrung nicht befallen. Folglich sind Menschen mit dieser Mutation immun gegen HIV.

HIV-positive Menschen, die gleichzeitig an Leukämie erkrankt sind, haben die Hoffnung auf einen Knochenmarkspender mit Delta-32-Mutation. Wenn sich nach der Transplantation das neue Immunsystem – ohne CC5-Rezeptor – aufbaut, hungert das HI-Virus beim Empfänger aus.

Timothy Ray Brown, bekannt als Berliner Patient, ist ein prominentes Beispiel dafür. Der HIV-Positive bekam am 6. Februar 2007 in Berlin im Rahmen einer Leukämieerkrankung, Stammzellen mit der Delta-32-Mutation gespendet. Brown war bis zu seinem Tod seither HIV-frei und HIV-Medikamente nahm er von 2007 an nicht mehr.

Ein weiterer Fall wurde von Adam Castillejo berichtet, bekannt als Londoner Patient, der ebenfalls durch eine Stammzellenspende HIV-negativ wurde. Auch hier fehlte dem Spender der CCR5-Rezeptor an den Immunzellen.

Weiterhin existieren noch zwei weitere Fälle, mit denen mittels einer Stammzellenspende im Rahmen einer Leukämieerkrankung von HIV geheilt wurden. Dies betraf eine argentinische Frau, die als Esperanza-Patientin beschrieben wird, sowie eine weitere Frau, die unter San Franciscoer Patientin bekannt ist.

HIV Heilen statt lebenslanger Behandlung

Durch eine lebenslange Einnahme von Medikamenten kann ein HIV-positiver Mensch ein nahezu normales Leben führen. Leider gibt es bis heute keine Möglichkeit der vollständigen Heilung.

Die Heilung von HIV mittels einer Stammzellentransplantation wäre ein interessanter Ansatz, auch wenn keine Leukämie vorliegt. Dafür ist es jedoch erforderlich mehr Menschen davon zu überzeugen sich bei Registern eintragen zu lassen. Man spricht auch von einer Typisierung. Nur so können auch beispielsweise Menschen mit der Delta-32-Mutation gefunden werden. Die Wahrscheinlichkeit einen Blutkrebspatienten oder gar einem HIV-positiven zu helfen, steigt deutlich.

 

Autorenhinweis
Denis-Franz Heinrich; B.Sc.
Fachinformatiker und Medizininformatiker

Erschienen September | GESUND&VITAL RÄTSEL.